Zum Thema Zivildienst


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Wer Zivildienstleistende (langes Wort, deshalb mit Zivi oder ZDL abgekürzt) für Drückeberger oder Faulpelze hält, hat wahrscheinlich "gedient", sich mit irgendwelchen Wehwehchen bei der Musterung gedrückt, oder ist ein weibliches Wesen mit leider nur geringem Wissen. (Gab's da nicht mal eine Staatssektretärin oder sogar eine Ministerin, die diesen Müll verbreitete?) In jedem Fall hat er/sie bestehende Vorurteile zu seiner Meinung gemacht (der einfachste und blödeste Weg der Meinungsbildung). Wer sich eine eigene Meinung bilden möchte, kann sich ja mal z.B. bei einer Werkstatt für Behinderte (WfB), beim Rettungsdienst, im Krankenhaus oder in einem Alten- und Pflegeheim erkundigen, ob ein kurzes Praktium möglich ist. Nach dem Praktikum wird sich seine/ihre Meinung zum Zivildienst sicherlich ändern...

Meine Meinung ist, daß junge Menschen, also Männer und Frauen (vor allem die Frauen, die so gleichberechtigt sein möchten, daß sie im Stehen pinkeln wollen), im Zivildienst wesentlich nützlicher für die Gesellschaft sind als diejenigen, die zu "potentiellen Mördern" (Kurt Tucholsky) ausgebildet werden, sich auf Kommando stundenlang wie die Schweine im Dreck suhlen (nichts gegen Schweine) und sich dabei wie Schwerhörige anbrüllen lassen müssen (Jaja, ich habe auch Vorurteile und ich neige zu übertreibungen). Fest steht jedenfalls, daß große Teile des Sozial- und Gesundheitswesens von Zivis abhängig sind, da Zivis billige Arbeitskräfte sind. Den Vergleich mit der Sklavenhaltung verkneife ich mir an dieser Stelle. Trotzdem werden junge Männer zum "Bund" eingezogen, solange sie sich nicht ausdrücklich und mit polizeilichem Führungszeugnis und Berufung auf einen Gewissenskonflikt - sprich: mit Händen und Füßen - dagegen wehren. Eine Wahlmöglichkeit wäre sicherlich angemessener, aber die damalige Bundesregierung hatte da ja leider eine etwas andere Einstellung. (Was lernen wir daraus? Erst denken, dann wählen!)

Mittlerweile dürfen Frauen "dienen", Männer müssen "dienen". Warum dürfen Frauen dienen ? Damit sie den Männern gleichgestellt sind, hat ein deutsches Gericht entschieden. "Soso", denke ich mir, "es ist also das Gleiche, wenn Männer zum Bund müssen, auch wenn sie nicht wollen, und Frauen zum Bund dürfen, wenn sie wollen." Dazu fällt mir kaum noch etwas ein. Meiner Meinung nach gibt es jetzt nur zwei Möglichkeiten, die wirklich gerecht sind: Entweder werden Frauen genauso zwangsverpflichtet wie Männer, oder es wird auch den Männern freigestellt, zum Bund zu gehen. Als guten Kompromiß sehe ich eine gleich lange Dienstpflicht für Männer und Frauen, wahlweise in der Bundeswehr oder im Zivildienst.

Ich habe meinen Zivildienst in einer Werkstatt für Behinderte geleistet. Meine Einstellung zu Behinderten hat sich dadurch schlagartig verändert - vor dem Zivildienst dachte ich, ich könnte ganz gut mit Behinderten umgehen, jetzt kann ich es einigermaßen. Zu meiner großen überraschung war der Dienst alles andere als langweilig - er macht die meiste Zeit viel Spaß! Natürlich gab es auch Streß und ärger, aber ich habe in einem guten Team gearbeitet, in dem Konkurrenzdenken, Neid und Herumhacken auf Kollegen eben nicht zum Alltag gehört, sondern die Ausnahme ist.

Zu meinen Aufgaben in der WfB gehörte neben Arzt- und Lieferfahren, der Mitbetreuung einer Arbeitsgruppe auch die Körperpflege. Es war jedesmal ein besonderes Erlebnis, zwei 30-40jährige geistig behinderte Männer einmal in der Woche zu waschen - auch im Intimbereich -, die dazu alleine nicht in der Lage sind und deren Eltern zu alt sind, um ihnen zu helfen. Bist Du schon einmal eine Woche lang in der gleichen Wäsche (inklusive Unterwäsche) herumgelaufen, ohne Dich zu waschen? Nur dann kannst Du verstehen, wieviel Freude die beiden am Waschtag haben (ganz ehrlich, nicht ironisch gemeint!). übrigens: Schon 'mal einem 1,80 m großen, körperlich und geistig behinderten Mann die Windel gewechselt? - Das geht nur mit zwei Zivis und viel Kraft.

Anscheinend stellen sich viele Leute (ich vor'm Zivildienst übrigens auch) vor, daß in einer WfB die Betreuten den ganzen Tag rumsitzen und irgendwelche eintönigen Arbeiten machen, bei denen es weder auf Menge noch auf Qualität ankommt, sondern nur darauf, daß die Leute beschäftigt sind. Irrtum! In den WfB wird sehr auf Qualität und Leistung geachtet, denn nur mit hoher Qualität können die WfB mit den Billiglohnländern konkurrieren.

Schon gewußt? In den WfB wird nicht nur Holzspielzeug hergestellt, in "meiner" WfB wird ausschließlich mit hoher Qualität für die Industrie gefertigt, z.B.:


Ach übrigens:

Behindert sein (auch geistig) ist nicht gleichbedeutend mit blöd sein - im Gegenteil. Die meisten Blöden arbeiten eben nicht in einer WfB. Wahrscheinlich deshalb habe ich meine Freundin und einige gute Freunde in der WfB gefunden ...